Wie ein freiwilliger Feuerwehrmann einen Einsatz erlebt

 

Am Beispiel eines realen Einsatzes, in diesem Fall bei einem Verkehrsunfall, möchten wir schildern, wie ein Feuerwehrangehöriger einen Einsatz erleben kann. Das Ganze ist nur eine Momentaufnahme aus einem Einsatzgeschehen. Jeder Einsatz fällt unterschiedlich aus, jedes Mitglied erlebt Einsätze unterschiedlich. Lediglich die Rahmenbedingungen sind immer dieselben.

Das markdurchdringende Alarmsignal des Piepers am Gürtel lässt mich zusammenzucken. Schon an der Tonfolge und der abgespielten Schleifen kann ich erkennen: Das ist was Größeres. „Bestimmt ein Verkehrsunfall“, durchfährt es mich. Denn gerade eben hatte ich in der Ferne Fahrzeuge mit Sondersignal gehört. Polizei oder Rettungswagen vermutlich. Es ist ein regnerischer Montagmorgen, etwa 6.20 Uhr. Vor wenigen Sekunden hatte ich meine Wohnung in Richtung Arbeitsstelle verlassen und war ins Auto eingestiegen. Die Zeitung unterm Arm, die Gedanken beim geplanten Tagesablauf.
Jetzt denke ich nur noch an eines: Zum Feuerwehrhaus fahren, so schnell wie möglich. Der Motor heult auf, ein kleiner Kavaliersstart. „Hier Florian Kleve, Einsatz für die Löschzüge Issum und Sevelen sowie RTW und Notarzt Geldern: Verkehrsunfall, eingeklemmte Person“, quakt die Funkdurchsage aus meinem Meldeempfänger. Ich hatte leider Recht. Gemächlich radelt vor mir eine Radfahrerin her. Sie kann natürlich nicht Wissen dass ich es eilig habe. Ich überhole die Radfahrerin, sehe im Rückspiegel das Kopfschütteln der Frau, die die kein Verständnis für meine übertriebene Eile hat. Weiter geht’s in Richtung Feuerwehrhaus.
Zwei Minuten später treffe ich auf dem Parkplatz der Feuerwehr ein, zeitgleich flitzt ein weiterer Kamerad mit seinem Wagen heran. „Was liegt an?“ ruft er, während er den Buzzer drückt, der die Tore öffnet. Er hatte die Durchsage nicht verstanden. „VU, Person eingeklemmt“ rufe ich zurück. Die Angabe ist wichtig um sich auf die Situation entsprechend einstellen zu können. Ich ziehe die über die Stiefel gekrempelte Einsatzhose hoch, schwinge mich in die blaue Feuerwehrjacke, Helm und Sicherheitsgurt nehme ich vom Haken und laufe zum ersten Fahrzeug. Inzwischen eilen aus allen Richtungen die Kameraden über den Hof. Ich steige in die Kabine des Feuerwehrwagens und schalte das Funkgerät ein. „Florian Kleve, von Florian Kleve 5-44-3, Frage Einsatzort“, funke ich zur Leitstelle. „Hier Florian Kleve, 5-44-3, sie fahren B 58 Richtung Aldekerk, Höhe Großholthuysen VU, Person eingeklemmt. Pkw frontal gegen Lkw.“ Ich melde, dass ich den Einsatzort verstanden habe und dass das Fahrzeug ausrückt. Zu diesem Zeitpunkt ist der Alarm noch keine drei Minuten her. „Das klingt nicht gut“, denke ich. Ein Pkw-Fahrer hat meist wenige Chancen, wenn sein Wagen gegen einen tonnenschweren Lastwagen prallt.
Der erste Wagen rollt vom Hof, die Blaulichter zucken auf, das Martinhorn ist auch im Innern des Wagen höllisch laut. Verschreckt weichen die Fahrzeuglenker vor uns zur Seite aus, eine Mutter hält ihrem Kind die Ohren zu. „Arm runter!“ schimpft der Fahrer, als es auf eine Kreuzung mit roten Ampeln zugeht. Ich hatte versucht während der hektischen Fahrt mich an einem Griff festzuhalten – dummerweise versperrt das aber den seitlichen Blick für den Kameraden. Da sehe ich die Frau auf dem Fahrrad, die ich auf dem Weg zum Feuerwehrhaus überholte- wiederum nur kopfschütteln. Während der Fahrt ziehen wir uns Einweghandschuhe aus Latex über. Eine Vorsichtsmaßnahme. Bei einem Unfall kommen wir leicht mit dem Blut von Verletzten in Berührung. Mögliche Infektionen sollen so verhindert werden.
Nach knapp einer Minute Fahrt sehen wir vor uns den Verkehr stocken. Bremslichter, Blaulichter. Da ist es. Ein Sattelzug scheint beteiligt zu sein. Wir ziehen mit dem Einsatzfahrzeug auf die leere Gegenfahrbahn bis unmittelbar zur Unfallstelle vor, vorbei an neugierig schauenden Autofahrern im Stau. „Das sieht nicht gut aus!“ sage ich laut. Eigentlich überflüssig. Wird die Feuerwehr zu einem Unfall gerufen, handelt es sich meistens um schwere Unglücke.
Ein älterer Golf ist mit der Fahrerseite gegen den Lastwagen geprallt und zusammengestaucht. Das Dach ist eingeknickt, die ganze Struktur verschoben. Glassplitter liegen rum, kleine Trümmerteile. Wir steigen aus, verschaffen uns einen ersten Überblick. Ein Rettungsassistent beugt sich zu dem bewusstlosen Fahrer ins Wrack, beatmet ihn mit einem Luftbeutel. Mir ist klar was das bedeutet: Der Mann schwebt in Lebensgefahr, aber es ist noch nicht zu spät. Die Atmosphäre ist gespenstisch. Nur der Motor unseres Feuerwehrwagens läuft. Der Verkehr steht, Autofahrer recken neugierig ihre Hälse. Es ist, als hätte jemand die Zeit mit einem Standbild angehalten. In der Ferne hören wir weitere Martinhörner, die rasch lauter werden. Die Kollegen treffen mit dem nächsten Löschfahrzeug ein, kurz darauf auch die Kameraden des Löschzug Issum.
Es beginnt eine Materialschlacht. Geräteablagen werden aufgebaut und bestückt, die verunfallten Fahrzeuge werden gesichert und abgestützt, die patientenorientierte Rettung kann beginnen. Fahrzeug und Fahrer sind äußerst ungeschickt unter dem Lastwagen eingeklemmt. Die noch vorhandenen Glasscheiben sowie größere Splitter und Trümmerteile werden vorsichtig entfernt. Der Patient wird mit Folien und Decken durch Mitwirken des „inneren Retters“ geschützt. Das Dach des Pkw wird mit der hydraulischen Schere abgetrennt, die Türen aufgespreizt. Alles in Absprache mit Notarzt und Rettungsassistenten. Klares Denken ist gefragt, es läuft ein Kampf gegen die Zeit. Wo ist nur dieses Werkzeug? Was brauchen wir noch? Jetzt bloß keinen Fehler machen. Beide Löschzüge arbeiten Hand in Hand und ergänzen sich.
Eine weitere Rettungswagenbesatzung kümmert sich um den geschockten Lastwagenfahrer, er wird vorsorglich ins Krankenhaus eingeliefert. Zeitweise wurde der Mann von einem Kameraden der Feuerwehr betreut bis der zweite RTW eintraf.
Zwischenzeitlich landet ein Rettungshubschrauber auf der angrenzenden Wiese. Nach über eine Stunde ist es soweit: Der Verletzte kann, stabilisiert und an einem Rettungssystem fixiert aus dem Wrack gehoben werden. Vorsichtig lagern wir ihn auf eine Vakuummatratze, die unter anderem vor Rückenverletzungen schützen soll. Wie es ihm weiter ergehen wird, erfahren wir in der Regel nie.
Als der Rettungshubschrauber abfliegt, löst sich die innere Anspannung. Es wird wieder gescherzt, Scherben zusammengekehrt, auslaufendes Öl abgestreut. Nach der Bergung des Fahrzeugs durch ein Abschleppunternehmen geht es wieder zurück zum Feuerwehrhaus. Ausziehen der Einsatzkleidung, Eintragen in die Einsatzliste und schnell wieder nach Hause. Zum zweiten Mal wird geht es an diesem Morgen unter die Dusche. Die vor wenigen Stunden frisch angezogene Kleidung landet im Schmutzwäschekorb. Anruf am Arbeitsplatz: „Ich hatte einen Einsatz und komme etwas später.“ Die Kollegen kennen das schon und murren nicht. Später wollen sie kurz wissen, was denn passiert ist. Mit wenigen Sätzen fasse ich die Erlebnisse zusammen und beginne dann mit meiner Arbeit.
Zwar steckt einem der Einsatz und das damit verbundene Leid noch tief in den Knochen, aber man ist glücklich und auch ein bisschen stolz, die Geschehnisse und damit das Leben eines Menschen positiv beeinflusst zu haben.

Der Alltag geht weiter.

Diese Seite verwendet Cookies um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmst du dem zu.

Datenschutzerklärung